Stiftung

Im Gespräch mit John und Jenny Jürgens

Udo Jürgens war und ist ein Stifter in mehrfacher Hinsicht: Er hat mit seiner Musik nicht nur Freude geschenkt, sondern auch zum Nachdenken angeregt – mit kritischen Tönen und unbequemen Wahrheiten. Und auch heute, weit über sein Leben hinaus, wirkt sein Engagement durch die Stiftung weiter.
Frau Jürgens, wie sah Ihr Vater seine Rolle als Künstler und Mensch?

Jenny Jürgens

Er hat seine Lieder nicht nur so gesungen, sondern auch so gemeint: „Ich geb euch das zurück, was ich mir von euch lieh…“. Udo sagte einmal, man könne Kindern und Jugend­lichen gar nicht genug helfen, weil es ein entscheidender Beitrag für eine humanere Gesellschaft sei. Er empfand es als Schande, dass Kinderarmut bei unserem Wohlstand noch immer ein Thema ist. Udos Philosophie, Glück nicht nur zu haben, sondern auch zu teilen, folgen wir mit der Stiftung, ganz so, wie es seinem Wunsch entsprochen hätte.

War dieses soziale Engagement für ihn Pflicht oder Herzenssache?

John Jürgens

Ganz klar Herzenssache. Er war immer sehr aufmerk­sam und hilfs­bereit. Das ist ja auch nur folgerichtig: Du kannst nicht Künstler sein und kritisch deine Zeit beobachten, aber dann die Augen verschließen. So engagierte er sich für Waisen­kinder in Brasilien, besuchte Anfang der achtziger Jahre ein SOS Kinder­dorf in Rio. Er unterstützte Unicef, spendete aus Album-Veröffent­lichungen. Er kümmerte sich, wenn er von Schicksals­schlägen und Notlagen erfuhr. Aber er wollte damit nie in die Schlagzeilen.

Das war Ihrem Vater sehr wichtig bei der Stiftungsarbeit.

John Jürgens

Ja. Er wählte nicht den Weg übers Fernsehen und über Fotos, das hatte den einfachen Grund, dass er die Kinder, die über die Udo Jürgens Stiftung unterstützt und gefördert werden, auch zu ihrem eigenen Schutz nicht „vermarkten“ wollte. Das ist eben genau das, was er nicht wollte: Wohltätigkeit vermarkten. Im Gegenteil! Unser Vater wollte Kontinuität und kein Blitzlichtgewitter für Eitelkeiten.

Das war sein Anspruch, den er auch sehr klar für seine Stiftung formulierte. Er sagte uns, er wolle ehrliche Arbeit leisten. Dass diesen Kindern konstant und permanent geholfen wird. Auch um den Preis, dass er natürlich wusste, dass, wer etwas nicht herzeigt, mehr Mühe hat, Spenden für die Stiftung zu bekommen. Er machte nur eine einzige Ausnahme: für die Kinder des Waisen- und Schulhauses in Tschernigow in der Ukraine, die noch Jahre nach dem Atomunfall von Tschernobyl unter den schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen zu leiden hatten. Das war ihm wichtig, das zu zeigen.

Die Udo Jürgens Stiftung unter­stützt „Kinder ohne Bezugs­personen“. Was bedeutet das ganz konkret?

Jenny Jürgens

Es gibt ja den etwas gestrigen Begriff „Waise“, im Englischen „orphan“. Das betraf eher die Kriegszeiten, als Familien auseinandergerissen wurden. Aber auch heute können Kinder auf sich allein gestellt sein, wenn ihre Eltern massive eigene Probleme haben. Junge Menschen sollten seelisch und sozial verankert und beschützt sein, um stabil zu werden fürs spätere Leben. Und für diese „Kinder ohne Bezugspersonen“ macht sich die Udo Jürgens Stiftung stark, beispielsweise für die Schulausbildung von Kindern in Tansania oder Südafrika. Für Straßenkinder in Moldawien oder den Bau eines Schulgebäudes in Nordindien für Flüchtlingskinder aus Tibet.

Welche Rolle spielt die Stiftung heute – und welche Projekte stehen aktuell im Fokus?

Jenny Jürgens

Die Stiftung hat sich verändert. Manche Engagements aus der Anfangszeit – wie Moldawien oder Tibet – gehen direkt auf unseren Vater zurück. Heute liegt der Fokus stärker auf Projekten, die wir mitgestalten können. Es geht vor allem darum, auch benachteiligten Kindern hier in Deutschland oder in enger Partnerschaft mit bestimmten Einrichtungen Chancen zu geben – sei es durch Bildung, soziale Unterstützung oder kulturelle Förderung.

Wie kam es zu dem Engagement von Udo Jürgens für tibetische Flüchtlingskinder in Indien?

John Jürgens

Die Intention unseres Vaters war, mit seinem Engagement etwas zurückzugeben. Er selber empfand es so, auf der Sonnenseite des Lebens zu leben. Er wollte etwas zurückgeben ans Leben und Kindern in Notlagen helfen, weil Kinder es als Letzte verdient haben, in solcher Not zu leben. Das Schicksal dieser tibetischen Kinder hatte ihn in besonderem Masse berührt. Es sind Kinder, die fürchterliche Flucht- und Verlusterfahrungen machen mussten. Das war etwas, das in nicht losließ, menschlich wie moralisch.

Udo Jürgens traf auch den Dalai Lama …

Jenny Jürgens

Udo traf den Dalai Lama zu einem persön­lichen Gespräch, das ihn tief beeindruckt hat. Der Dalai Lama lud ihn später zu einem privaten Treffen ein. In den folgenden Jahren reiste unser Vater mehrfach nach Tibet und Indien, betreute einzelne Kinder, die besonders schwer betroffen waren und übernahm persönliche Patenschaften.

Sie engagieren sich nicht nur weltweit, sondern auch in Deutschland. In Putzbrunn unterstützen Sie das Clemens-Maria-Kinderheim.

JOHN Jürgens

Das Clemens-Maria-Kinderheim ist uns ein besonderes Herzensanliegen. Die Stiftung engagiert sich für internationale Hilfsprojekte, aber jetzt eben auch in Deutschland. Hier hat es auch Kinder, die in unserer unmittelbaren Nachbarschaft Unterstützung und Förderung verdienen. Wir unterstützen das Clemens-Maria-Kinderheim in Putzbrunn finanziell und materiell für den Ausbau des Hauses, vor allem aber für das Musikzimmer. Eines von Papas E-Pianos steht nun im Musikzimmer des Clemens-Maria-Kinderheims und wird von den Kindern dort bespielt. Das macht mich persönlich sehr glücklich, das zu erleben.

Genau: die Musik! Die Stiftung möchte ja auch den Nachwuchs auszeichnen: junge Musikerinnen und Musiker! Also die „Udos von morgen“…

Jenny Jürgens

Udo hat jahrelang hart kämpfen müssen. Er war ja nicht das „Über-Nacht-Wunder“ irgendeiner Casting-Show. Und er konnte sich so sehr begeistern für Talente, war immer gern der Mentor für Begabte und Musikverrückte. So wie auch seine Eltern ihn unterstützt haben, als sie merkten: Dieser Junge hat nur Musik im Kopf. Udo unterstützte beispielsweise Ingolf Wunder als kleinen Jungen. Unser Vater war begeistert von seinem Können. Heute ist Ingolf Wunder ein mehrfach ausgezeichneter, in der Klassikmusikszene gefeierter, wunderbarer Pianist und Dirigent.

Was bedeutet es Ihnen persönlich, das Lebenswerk Ihres Vaters weiterzutragen?

John Jürgens

Es ist eine große Verantwortung, aber auch eine Ehre. Wir wollen nicht „die Stiftung verwalten“, sondern sie mit Leben füllen – mit Ideen, die im Geist unseres Vaters stehen.

Jenny Jürgens

Ja, ganz in seinem Sinne.